Per Mausklick in die Zukunft.

Wie die Lausitz das Potenzial des H2Scout-Szenarienrechners nutzen kann

Fast zwei Jahre ist es her, dass die HyStarter-Region Lausitz ihre Wasserstoff-Roadmap im Rahmen der ersten Runde des Hy.Land-Wettbewerbs der Bundesregierung veröffentlicht und sich auf den Weg in die Wasserstoffzukunft gemacht hat. In der Zwischenzeit „boomt“ das Thema nicht nur in der Lausitz, und immer mehr Regionen entdecken den Wasserstoff als zentralen Baustein ihrer regionalen Energiewende.  

Wie auch die Lausitz vor drei Jahren stehen all diese Regionen anfangs vor der Frage, welche Rolle Wasserstoff konkret in ihrer Region spielen kann und wie die Transformation der Energiesysteme am besten gelingt. Die energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich in den vergangenen zwei Jahren noch einmal deutlich verändert und das Bewusstsein geschärft, dass wirtschaftlich attraktive Lösungen nicht allein durch den Preis, sondern auch durch ihren Beitrag zu Versorgungssicherheit und Preisstabilität bestimmt werden. Hinzu kommen die Diskussionen um die Wasserknappheit und die möglichen Synergien von Wasserstoff, Energiewende und Kreislaufwirtschaft. 

Die Komplexität und Dynamik der Thematik bezüglich einer strategischen Ausrichtung der Wasserstoffregion erschwert die Diskussionen, an denen Menschen mit Unterschieden in Qualifikation, Erfahrungswissen und Interessen beteiligt sind.  

H2Scout – ein Online-Szenarienrechner für (zukünftige) Wasserstoffregionen

Der Szenarienrechner „H2Scout“ basiert auf einer Idee von Akteuren aus dem Kreis Steinfurt im Jahr 2016. Unter konzeptioneller Leitung der Spilett new technologies GmbH wurde H2Scout im Zeitraum 2019 bis 2022 gemeinsam mit den Modellierern der BBH Consulting AG, den Software-Entwicklern der ENDA GmbH & Co. KG und den Akteuren des energieland2050 im Kreis Steinfurt entwickelt und validiert. Finanziert wurde die Entwicklung des H2Scout von der Toyota Mobility Foundation (TMF). 

Der H2Scout ermöglicht es regionalen Akteuren, die technischen und wirtschaftlichen Potenziale der Wasserstofftechnologien im jeweiligen regionalen Kontext zu erkennen und zu verstehen. Auf Basis eines vollständig parametrisierbaren Optimierungsmodells werden für die unterschiedlichen Zielgruppen (Experten der Energiewirtschaft, Fachlaien) die Komplexität der Thematik reduziert und gleichzeitig ausreichend detaillierte und belastbare Informationen für eine Entscheidungsfindung geliefert. Dank kurzer Rechenzeiten (10-15 Min. je Szenario) sind Anpassungen der gewählten Parameter, Zeitreihen oder politischen Schwerpunktsetzung für die Erstellung und den Vergleich unterschiedlichster Zukunftsszenarien jederzeit möglich. 

 

Funktionsweise des H2Scout-Szenarienrechners

Der H2Scout identifiziert unter Berücksichtigung der regionalen Energienachfrage und verfügbaren Ressourcen, sowie der politischen Rahmenbedingungen ein kostenoptimiertes Infrastruktursystem zur Bereitstellung von Wasserstoff über die gesamte Wertschöpfungskette. Für die regionale Konfiguration muss in einem ersten Schritt die erwartete jährliche Energienachfrage je Sektor quantifiziert und mit einer stündlichen Nachfragezeitreihe unterlegt, sowie der gewünschte Deckungsbeitrag mit Wasserstoff definiert werden. Weitere Annahmen zu Zahlungsbereitschaft, Transportkosten und spezifischen CO2-Emissionen je Transportkilometer von Wasserstoff können individuell je Sektor angepasst werden. Das vom Optimierungsalgorithmus identifizierte Infrastruktursystem wird in Bezug auf Technologiemix, zu installierende Kapazitäten, Energie- und Ressourcenbedarfe, Flächenbedarf und Investitionskosten angegeben (siehe Abbildung 1).

Die mit dem Aufbau sowie dem Betrieb des Infrastruktursystems verbundenen wirtschaftlichen, ökologischen und gesellschaftlichen Kosten beziehungsweise Nutzen werden in einem zweiten Schritt detailliert aufgeschlüsselt und dargestellt. Hierbei wurde ein zweistufiger Ansatz gewählt:

(1) Zehn zentrale Kenngrößen geben einen Überblick über die wichtigsten ökonomischen und ökologischen Leistungsparameter des identifizierten Infrastruktursystems (siehe Abbildung 2)

(2) Nach Leistungsbereichen aufgeschlüsselte Informationen und Kenngrößen (Energie- und Stoffstrombilanzen, Wirtschaftlichkeit, gesellschaftlicher Nutzen) vertiefen das Verständnis.

Erste Ergebnisse und Erkenntnisse

Seit Beginn des Jahres 2022 nutzen ausgewählte Regionen, unter ihnen die aktuellen 15 HyStarterregionen der zweiten Runde des Hy.Land-Wettbewerbs, den H2Scout zur Identifizierung alternativer Szenarien ihrer regionalen Wasserstoffwirtschaft für das Jahr 2030. Regionenübergreifend lassen sich dabei unter den getroffenen Annahmen und Rahmenbedingungen folgende Trends erkennen und Erkenntnisse für die regionale Wasserstoffwirtschaft ableiten: 

 

·       Die Investitionskosten für die Wasserstofftechnologien (Produktion und Speicherung) betragen nur etwa 10-15% der Gesamtinvestitionen. Die Investitionen in die Erneuerbaren Energien zur Bereitstellung des Stroms dominieren das Geschehen.  

·       Die Investitionskosten für die Wasserstofftechnologien sind je nach gewähltem Szenario nur für ca. 10-20% der Gestehungskosten von Wasserstoff verantwortlich (Beispiel siehe Abbildung 3). Den Großteil der Gestehungskosten machen Steuern und Abgaben sowie variable Betriebskosten aus. Ein Investitionskostenzuschuss, wie ihn momentan viele Förderprogramme vorsehen, ist daher nur in der Anfangsphase bei geringen Nachfragemengen hilfreich. Für die Hochlaufphase eignen sich Fördermechanismen, die betriebskostensenkend wirken, mehr (z.B. wie aktuell diskutiert, die Möglichkeit des Verkaufs von CO2-Zertifikaten).

·       Fast alle Regionen konnten Szenarien identifizieren, bei denen die Bereitstellungskosten von Wasserstoff deutlich unter den Gestehungskosten liegen und auch ohne Förderung wirtschaftlich sind. Die Wirtschaftlichkeit wird dabei durch Einnahmen aus dem Vertrieb von Nebenprodukten und Strom aus eigenen EE-Anlagen ermöglicht (Beispiel siehe Abbildung 4). Der Optimierungsalgorithmus im H2Scout berücksichtigt die Wettbewerbssituation der Wasserstofferzeugung mit der Direktstromnutzung und entscheidet auf Basis der am Strommarkt zu erzielenden Preise sowie der Kosten für die H2-Speicherung über den Einsatz des in den eigenen Anlagen erzeugten Stroms (Beispiel siehe Abbildung 5).   

Fazit und Ausblick

Bereits vor zwei Jahren haben die Lausitzer Akteure die Wichtigkeit der Diversifizierung der Verfahren zur Wasserstoffproduktion aus regionalen Ressourcen unter Aspekten der zu erwartenden Wasserknappheit erkannt und als Ziel in ihre Roadmap formuliert. Mit Hilfe des H2Scout-Szenarienrechners lassen sich nun die damals entwickelten Ideen validieren und auf ihre Effekte hinsichtlich Klimaschutz, Wirtschaftlichkeit und regionale Wertschöpfung für die gesamte Lausitz oder auch einzelne Landkreise quantifizieren. 

Der H2Scout-Szenarienrechner ist für Regionen kostenfrei nutzbar und unter folgender Internetadresse erreichbar: https://h2scout.eu. Bei Interesse können Nutzerzugänge und -schulungen unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein. angefragt werden.

www.spilett.com

 Jenseits der Elektrolyse – vom Mehrwert alternativer Wasserstoffproduktionsverfahren

(1) Hebelwirkung bei der Nutzung erneuerbarer Energien

Neben der Elektrolyse kann Wasserstoff auch in pyrolytischen Verfahren (Thermolyse, Plasmalyse) erzeugt werden: Organische Reststoffe bestehen aus Verbindungen der Elemente Kohlenstoff (C), Wasserstoff (H) und Sauerstoff (O), die unter Zuführung von Energie ähnlich wie Legobausteine getrennt und zu neuen Verbindungen zusammengefügt (= chemisch recycelt) werden können. Dabei ist es möglich, Wasserstoff zu produzieren und gleichzeitig Kohlenstoff dauerhaft in fester Form zu binden. Für diese Prozesse ist kein Wasser erforderlich, und es werden je nach Verfahren und Eingangsstoff nur 10-20% der elektrischen Energie im Vergleich zur Wasserelektrolyse benötigt. Da mindestens zwei Drittel der später im Wasserstoff enthaltenen Energie somit aus den Reststoffen selbst kommt, und weniger als ein Drittel extern hinzugefügt werden muss, entsteht durch den Wasserstoff eine Hebelwirkung, die bei gleichem Ausbau von Erneuerbaren Energien mehr Energie für die Verkehrs- und Wärmemärkte bereitstellen kann als im Fall der direkten Elektrifizierung. 

(2) Erschließung post-fossiler Kohlenstoffquellen

Das post-fossile Zeitalter bedeutet nicht nur das Ende der Nutzung einer günstigen Energiequelle. Noch immer wird in der aktuellen Debatte übersehen, dass mit der Förderung von Erdöl und Erdgas auch eine günstige Kohlenstoffquelle wegfällt, welche heute 70% der Grundstoffe für die chemische Industrie liefert. Durchschnittlich 10-15% der global geförderten Mengen an fossilen Rohstoffen (in hochindustrialisierten Ländern wie Deutschland bis zu 20%) werden nicht energetisch, sondern stofflich für die Produktion von Waren und Gütern genutzt. In der Vergangenheit erschien es wirtschaftlich nicht attraktiv, Kohlenstoffkreisläufe zu schließen und somit alternative Quellen zu fossilen Rohstoffen zu sichern. In Folge sind unsere heutigen Wirtschaftssysteme in zweierlei Weise ineffizient: Wir haben nicht gelernt, Energie effizient einzusetzen und verzichten auf die Nutzung verfügbarer Kohlenstoffquellen, indem wir unsere organischen Reststoffe verbrennen. Bei der Verbrennung in Müllverbrennungsanlagen bzw. Biogasanlagen wird der in den organischen Reststoffen enthaltene Kohlenstoff zwecks Energiegewinnung in die Atmosphäre „entsorgt“, wo er zur bekannten Problematik des Klimawandels führt. 

Quelle: Lausitz Magazin, Ausgabe Sommer 2023.